Noise cancelling Kopfhörer bei Kindern?
Kürzlich durfte ich mit einer Mutter ein interessantes Gespräch führen. Sie fand den Einsatz von noise cancelling Kopfhörern im Unterricht als problematisch. Warum es meiner Meinung nach ein gutes Hilfsmittel ist, lest im Beitrag nach.
Die Ausgangslage unseres Gesprächs waren die unterschiedlichen Schulen in der Nähe und wie mit den großen Klassen bzw mit den Kindern umgegangen wird. In einer sehr großen Schule gab es in mehreren Klassen die Möglichkeit sich noise cancelling Kopfhörer zu borgen, damit die Kinder im Unterricht konzentriert arbeiten konnten.
Wie Eltern manche Hilfestellungen im Unterricht erleben
Diese Mutter verstand den Einsatz von Kopfhörern nicht. Denn in ihrer Wahrnehmung (ihre Bildungsgeschichte prägt diese auch) hat es in der Schule leise zu sein. So leise dass jedes Kind in Ruhe arbeiten kann. Und dass sich auch die Kinder die etwas lauter sind, sich anzupassen haben. Das es ihrer Meinung nach zu den Aufgaben von Schule gehört, dass man lernt sich der großen Gruppe unterzuordnen.
Mein Einwurf, dass es bspw Kinder gibt denen es schwerfällt sich in Gruppen zu konzentrieren, oder dass es auch Kinder mit besonderen Betreuungsbedürfnissen gibt, den fand sie nicht als relevant, denn auch die Kinder mit Anpassungsstörungen würden lernen müssen sich anzupassen.
Ich fand die Ausschließlichkeit dieser Aussagen faszinieren, zeigten sie mir doch was von vielen Eltern noch von Schule erwartet wird. Einerseits müssten die Kinder die notwendigen Fertigkeiten lernen, andererseits müssten sie unter allen Bedingungen lernen sich unterzuordnen. Nur dann wären sie entsprechend passende Mitglieder der Gesellschaft.
Die Realität der Kinder
Wie schaut nun die Realität für die Kinder unserer Zeit aus?
Die Lebenswelt unsere Kinder hat sich sehr verändert, seitdem wir, die Eltern, in der Schule waren. Sie sind mit vielfältigen Umweltreizen konfrontiert, einer Gesellschaft die zeitweise in manische Depression oder Hysterie abweicht, mit frühzeitigem Start ins pädagogische Betreuungssystem und mit digitalen Fluten auf ihr Nervensystem.
Viele Kinder haben Themen die diagnostisch abgeklärt werden müssen, ADHS, Konzentrationsschwierigkeiten, Sprachfehler, und diverse andere Förderfelder. Sie kommen in die Schule und zumeist bleiben sie bis in den Nachmittag. Die Eltern müssen ja arbeiten. Geld muss reinkommen. Früh daran gewöhnt ist das für sie kein Problem. Vielleicht gibt es noch einen Sport oder Musik die sie danach noch lernen. Unsere Kinder haben manchmal einen Tagesplan wie so manche Topmanager. Der Unterschied ist jedoch. Sie sind keine Topmanager. Und manchmal bräuchten sie einfach nur eine Spielrunde im Wald mit ihren besten Freunden wo sie mit Stöcken ein Haus bauen können.
Viele Kinder sind also dauerhaft überreizt. Weil der Alltag sie fordert. Dann sollen sie auch noch tagtäglich in der Schule funktionieren. Das ist Anstrengung pur. Und die wird auf unterschiedliche Weise kompensiert. Manche über Aggression, manche über Emotion, manche über den Körper, und manche über soziale Auffälligkeit.
Und dann gibt es auch noch eine zunehmende Zahl an hochsensiblen Kindern.
Hochsensibiltät und gefühlsstarke Kinder
Hochsensibilität mag vor zehn Jahren noch eine Modeerscheinung gewesen sein. Mittlerweile ist es eine Tatsache an der kaum mehr Eltern vorbeikommen. Die Autorin Nora Imlau hat dies noch spezifiziert und spricht von „gefühlsstarken Kindern“. Ich persönlich fand diese Erweiterung noch sehr hilfreich, mehr dazu kann man im Buch „So viel Freude, so viel Wut“ Nora Imlau, Kösel Verlag, nachlesen.
Hochsensibel zu sein heißt aber nicht automatisch ruhig und verletzbar zu sein. Es kann auch jede Menge lauter hochsensibler Kinder geben die die überbordenden Reize dann eben über Lautstärke und Bewegung abbauen. Aber es gibt natürlich auch noch das andere. Das hochsensible Kind das von den Situationen und Emotionen der Umgebung abgelenkt ist und dem Konzentration in großen Gruppen ansich schon schwerfällt.
Und auch sonstige Diagnosen haben es im Unterricht einfach schwerer. Für diese Gruppen ist es schon eine enorme Leistung im Unterricht die sozialen Anpassungsleistungen zu erbringen, zu verlangen dass sie dann fünf stunden durchgehend angepasst und leise sind, ist eine unfassbare Anstrengung, die auch kein Erwachsener schaffen würde. Sie passen sich häufig schon sehr gut an, und natürlich kann man nicht immer durchgehend diese Ruhe erwarten wenn das Nervensystem überreizt ist.
Was tun wenn die Überforderung sichtbar wird.
Was kann also jemand tun der die Kinder als Individuum unterstützen möchte, aber trotzdem den „normalen“ Betrieb aufrecht erhalten muss bzw will. Man kann ja die Kinder die mehr Ruhe zum konzentrieren brauchen, oder die die Ruhezeiten benötigen um in der Ruhe zu bleiben nicht aus dem Klassenverband ausschließen und vor die Türe setzen? Da kommt ja wieder die Aufsichtspflicht mit ins Spiel und von der negativen sozialen Komponente spreche ich gar nicht.
Um diesen Kindern, die von einer Auszeit oder Ruhe partizipieren, eben dies zu ermöglichen sind Noise cancelling Kopfhörer eine gute Methode um die Emotionen und Ablenkungen der anderen etwas auszublenden. Es ist sozusagen eine Deeskalationsmassnahme!
Wenn man als pädagogische und menschlich verantwortlicher Lehrer/in so einen Weg findet in großen Klassen für das Individuum zu sorgen, ist das ein guter Zug.
Natürlich wäre der leichtere Weg kleinere Klassen zu haben, die Möglichkeit von Hilfslehrern, oder Räume des Rückzugs. Aber Schule verändert sich halt nur immer in Essenzen, und da bin ich schon mal froh, wenn es kleine Fortschritte gibt. Beispielsweise anzuerkennen, dass nicht ALLE Kinder ruhig sein können, und anzuerkennen dass Kinder eben nicht ALLES aushalten müssen.
Werdet die Helden die ihr immer sein wolltet.
Übrigens kleiner Hinweis am Rande. Schule hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Als Elternteil ist es gut und schön wenn wir unsere Erziehungsvorstellungen haben. Aber als Eltern, bzw als Teil dieser Gesellschaft, wäre es angebracht wahrzunehmen welchen Belastungen unser Kinder teilweise ausgesetzt sind. Und ganz ehrlich. Wieviele von euch lesen euren Kindern Geschichten aus Bullerbü vor? Wieviele haben Pippi Langstrumpf als Heldin für ihre Kinder gefunden? Wieviele lieben Nils Holgerson? Und wieviel davon lebt ihr?
Wenn ihr zu den Helden der Kindergeschichten werdet die ihr euren Kindern vorlest, dann wird das Kind in euch mit eurem Kind in Kontakt treten. Und Die Welt mit Kinderaugen zu sehen kann euer ganzes Leben verändern.